Freunde, Teil sieben


14

Als sie ins Hotel zurückkam, war Tobias nicht da. Gerade als sie ihn anrufen wollte, erhielt sie ein Sms von ihm. „Ich esse hier noch zu Abend. Um zehn bin ich voraussichtlich im Hotel.“ Sie hatte sofort ein Bild vor Augen, dass er nicht allein war. Lag das an ihrer Zeit mit Thomas? Angenommen, er hatte jemanden getroffen wie sie, vielleicht eine Frau, mit der er sich gut verstand. Er hatte es dann wohl nicht eilig, wieder zurückzufahren.
Sie rief ihn an, erreichte aber nur die Mailbox. Untätig saß sie auf der Bettkante, bis sie beschloss, sich keine Sorgen zu machen. Dann ging sie duschen und anschließend in Richtung Strand, wo es Cafés und Restaurants gab.
Sicherheitshalber tippte sie noch ein Sms an ihn, dass sie selber noch essen war. Die Spinatlasagne, die sie bestellt hatte, schmeckte sehr gut, die Gedanken an Tobias und dass er vielleicht nicht allein war, konnte sie trotzdem nicht verscheuchen. Sie fragte sich, ob er ihr immer treu gewesen war. Sie hatte nie einen konkreten Verdacht gehabt. Vielleicht erlebte er heute etwas Ähnliches, wie sie es selbst erlebt hatte, und das könnte sie ihm nicht vorwerfen.
Nach dem Essen schlenderte sie zum Strand, aber sie verlor die Lust an einem Spaziergang. Es waren einige Leute unterwegs, und sie dachte an Thomas und dann an Daniel. Es war wunderschön hier, aber allein konnte sie es nicht richtig genießen.
Als sie um halb zehn wieder im Hotelzimmer war, rief Tobias an. Er setze sich jetzt ins Auto und fahre zurück, sagte er. Und er hoffe, dass sie einen schönen Tag gehabt habe.
Sie wollte ihm von der Begegnung mit Thomas erzählen, nur deshalb, damit er auch von einer Begegnung erzählte, die er vielleicht gehabt hatte.
„Ich hatte etwas Gesellschaft“, sagte sie schließlich, als er wieder im Zimmer war. „Worüber ich froh war, denn allein ist es einfach nicht so schön.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. Aber er nickte nur und sagte nichts. Dann gähnte er und meinte, er wolle jetzt schlafengehen.
An diesem Abend brauchte sie lange zum Einschlafen. Es kam ihr vor, als hätte sich etwas Fremdes zwischen sie und Tobias geschlichen.

Am nächsten Tag, als sie beim Frühstück saßen, fragte sie ihn.
„Hast du den gestrigen Tag auch mit jemandem verbracht?“
Er sah nur kurz auf und biss wieder von seinem Toast ab.
„Ja. Ich habe eine amerikanische Touristin getroffen. Ich bin mit ihr essen gegangen.“
„Und habt ihr euch gut verstanden?“
Er schmunzelte kurz, wie um die Unsinnigkeit der Frage zu demonstrieren.
„Warum fragst du mich das?“
„Nur so.“
„Sie war sehr nett. Und auch froh über die Gesellschaft.“
Laura fragte sich, ob er etwas verbarg, und so misstrauisch kannte sie sich gar nicht. Aber sie konnte jetzt nicht weiterfragen, sie musste ihr Misstrauen für sich behalten, weil sie sonst riskierte, die Stimmung zwischen sich und Tobias zu zerstören, und dann hätten sie keine Freude mehr. Sie musste sich wohl darin üben, ihm zu vertrauen.

Am nächsten Tag fuhren sie wieder los, um sich etwas anzusehen, Felsen und eine weitere Grotte. Am späten Nachmittag gingen sie im Meer schwimmen. Während der Autofahrten fanden sie wieder in ihr munteres Plaudern hinein, das Lauras Gedanken über den vergangenen Tag fast in Vergessenheit geraten ließ.
Wie in einem ungesagten gegenseitigen Einverständnis vermieden sie es für den restlichen Urlaub, Zeit getrennt zu verbringen, als gäbe es da eine Gefährlichkeit, die von anderen, ungekannten Personen ausging, die sich zwischen sie stellen konnten. Sie unternahmen weiter ihre Ausflüge, saßen zum Essen in Lokalen, saßen im Auto und redeten. Sie konnten miteinander sein, wenn auch nur für begrenzte Zeit. Wenn der Urlaub zu Ende war, würden sie wieder Zeit für sich verbringen und nicht dieselben Menschen mögen.
Am Strand skizzierte sie die Felsen und das schäumende Meer, während Tobias neben ihr auf seinem Badetuch saß. Dann zeichnete sie Tobias vor dem Meer und den Felsen. Er hatte sich auf die Ellenbogen aufgestützt und betrachtete das sich bietende Bild. „Nicht bewegen!“, rief sie, und er harrte aus.
Zu guter Letzt schickte sie ein Foto an Daniel. Er schrieb zurück: „Noch zwei Tage… dann fängt unser Urlaub an!“

15

Zuhause empfing sie der gewohnte Alltag. An den freien Tagen wäre sie baden gegangen, aber es war eine verregnete Woche. Also malte sie und schrieb ein wenig in ihr Tagebuch, vom Urlaub, von jenem Tag, den sie getrennt verbracht hatten, vom wenigen Austausch mit Daniel. Der würde noch eine Weile so gering bleiben – Daniel und Nina waren jetzt ihrerseits verreist. Zuhause vermisste sie ihn.
Gerade als Laura dachte, die Pärchenabende würden langsam im Sand verlaufen, meldeten sich Paul und Sofia mit einer Einladung. Sie hörte Tobias am Telefon sagen, sehr gern, er freue sich. Er kam zu ihr und sagte: „Komm doch mit. Wenn du nie dabei bist, wirst du die Leute auch nicht näher kennenlernen oder vertraut mit ihnen werden.“
Laura stöhnte.
„Ich will nicht, Tobias“, sagte sie. „Ich habe diese Gesellschaft schon genug kennengelernt.“
„Und wie sieht das aus“, sagte er, „wenn du nie mitkommst.“
„Ich bin frei zu tun und zu lassen, was ich will“, sagte Laura. „Du machst das schließlich genauso.“
„Was willst du damit sagen?“
„Im Urlaub, als du mit dieser Amerikanerin essen gegangen bist. Diese Freiheit hast du dir herausgenommen. Ich nehme mir jetzt die Freiheit heraus, an Pärchenabenden nicht mehr teilzunehmen.“
Tobias hob resignativ die Hände. Dann verließ er das Zimmer, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Laura sah nicht ein, dass er jetzt beleidigt war. Er hätte doch auch verstehen können, warum sie dort nicht hinwollte, aber das tat er nicht. Laura fand das enttäuschend und ärgerlich zugleich.
Laura nahm eine leere Tagebuchseite und schrieb einen Brief an Tobias.
Lieber Tobias, schrieb sie, es sind nun einmal deine Freunde und nicht meine. Ich habe den Eindruck, du wehrst dich dagegen, das einzusehen. Ich langweile mich an diesen Abenden, ich passe nicht dazu, und Sofias Unterstellungen machen es nicht einfacher. Sie mag mich nicht. Stefanie und den beiden Männern bin ich egal. Mach doch die Augen auf!
Ich bin dein Anhängsel, weiter nichts. Ich bin die Freundin. Sie sehen mich nicht als eigenständige Person, das ist für mich so, als wäre ich Luft für sie. Ich als Mensch existiere nicht an diesen Abenden.
Die Lösung? Ich bin kein Anhängsel mehr. Ich bin ich und möchte auch so wahrgenommen werden. Wenn ich merke, dass das nicht so ist, bleibe ich fern.
Sie riss die Seite aus dem Tagebuch heraus und las sie noch einmal durch. Dann ging sie hinaus und legte sie in die Küche. Anschließend zog sie sich die Joggingschuhe an und eine Jacke mit Kapuze. „Ich gehe laufen“, sagte sie zu Tobias. „In der Küche ist ein Brief für dich.“
„Ein Brief?“, rief er und hastete in die Küche. „Warte noch!“
Er las die paar Zeilen und ließ den Zettel dann entmutigt sinken.
„Wie soll das gehen?“, fragte er. „Wenn du nicht mehr dabei bist. Was bedeutet das für uns?“
„Dass die Zweisamkeit reichen muss“, sagte Laura.
„Willst du damit sagen, ich soll die Leute nicht mehr treffen?“
„Nein, absolut nicht. Markus ist dein bester Freund. Du hast ja Freunde, ich nicht, außer Daniel, und der ist weit weg. Vielleicht werden die paarweisen Treffen aufhören.“
Laura stand in Laufkleidung Tobias gegenüber, während sie redeten, und in diesem Moment dachte sie, dass sie selbst in einer kaum zu lösenden Situation nicht streiten konnten. Sie warfen sich keine Dinge an den Kopf, die nicht so gemeint waren und die man später bereute, sie wurden nicht böse miteinander. Sie sprachen die Dinge aus und versuchten sie zu lösen. Es war, trotz der Situation, eine Erkenntnis, die ihr ein kleines Stückchen Frieden und Sicherheit vermittelte.
„Bis später“, sagte sie und verließ die Wohnung.

Sie bekam eine Postkarte von Daniel. Seine große und runde Schrift kannte sie schon, fand sie aber immer wieder entzückend. Nina hatte die Karte mit unterschrieben. Es schien ihnen gut zu gehen, aber diesbezüglich machte sich Laura ohnehin keine Sorgen. Am Wochenende rief sie Daniel an.
„Es gibt hier so viele Naturmotive, da könntest du malen ohne Ende. Ich begnüge mich mit Fotos.“
„Hör lieber auf, mich in Versuchung zu führen, sonst komme ich gleich nach“, sagte Laura. „Ich habe aber einiges an Skizzen von Sardinien.“
„Geht es dir gut?“, fragte Daniel.
„Ja, schon“, sagte Laura, „aber ich streike bezüglich einer Einladung.“
„Ich halte es für sehr wichtig“, sagte Daniel, „zu tun, was man will, und zu lassen, was man nicht will.“
„Die Frage ist, ob das immer so leicht geht.“
„Vielleicht nicht immer leicht, aber du wirst innerlich immer stärker, wenn du so lebst.“
Daniel konnte es nicht sehen, aber sie lächelte.
„Kommst du mich besuchen?“, fragte sie. „Du kannst bei uns auf der Couch schlafen.“
„Ich muss sehen, wie es geht. Vielleicht will Nina mitkommen.“

Eine Woche, nachdem ihr Urlaub zu Ende war, fuhren Daniel und Nina in Lauras Bergwelt. Zu zweit hatten sie nicht genug Platz in der Wohnung, also schliefen sie im Hotel. Laura freute sich, etwas mit Daniel unternehmen zu können, aber sie wünschte sich auch, sie könnte Zeit mit ihm allein verbringen. Nina war freundlich zu allen, aber es wirkte auch so, als wollte sie auf Daniel aufpassen. Konnten ein Mann und eine Frau nicht befreundet sein, ohne das Misstrauen ihrer Partner hervorzurufen?
Also machten sie zu viert eine Wanderung auf eine Alm. Sie gingen zu viert nebeneinander her, dann zu zweit als Liebespaare, dann zu zweit als Freunde. Laura empfand es immer wieder als Glück, allein mit Daniel zu sein. Der Redefluss versiegte fast nie, soviel hatten sie einander zu sagen. Daniel hatte mit dem „Bild seines Lebens“ angefangen, oder zumindest mit einem ersten Entwurf, wie er sagte. Aber anderen zeigen würde er es erst, wenn es wirklich fertig sei. Bis auf Nina natürlich, die es zwangsläufig zu Gesicht bekam.
„Manchmal zweifle ich daran, ob meine Kunst etwas taugt“, sagte Laura zu Daniel. „Bis jetzt ist das reines Privatvergnügen.“
„Das wird schon“, sagte Daniel. „Male einfach weiter, das ist das beste Mittel gegen Zweifel.“
„Ich bin froh, dass du da bist“, sagte Laura. „Tobias ist mein Partner, aber du bist mein einziger Freund.“
Daniel sah kurz auf Nina und Tobias, die ein gutes Stück vorausgingen, legte dann einen Arm um Lauras Schulter und drückte sie.

Am Abend kochten sie zuhause und spielten danach das Spiel mit der Pantomime. Daniel und Nina hatten es selbst zuhause. Sie mochten es, was für Laura der Beweis war, dass Pärchenabende nicht unbedingt langweilig sein mussten. Nur versuchte Nina, sich mit Laura anzufreunden, was in Ordnung gewesen wäre, wenn es dabei nicht um ihre Freundschaft mit Daniel gegangen wäre. Es war, als sagte sie: „Du musst nicht mit Daniel reden, wenn du einen guten Freund willst. Du kannst auch mit mir reden.“
Aber die Freundschaft mit Daniel war für Laura unersetzlich, das wusste sie nach diesen wenigen Monaten. Das musste auch Nina einsehen.
Laura dachte darüber nach, wie es wohl wäre, wenn Nina und Daniel bei einem Pärchenabend dabei wären. Man müsste ganz schön aufkochen für vier Paare. Aber ansonsten fühlte sich die Vorstellung gut an, besser jedenfalls als die Vorstellung eines Standard-Pärchenabends. Aber so viel Zeit war nicht, und Daniel und Nina hätten sich selbst einladen müssen. Also fuhren die beiden wieder nachhause, und Laura blieb der Einladung von Paul und Sofia fern.

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