Freunde, Teil sechs


12

Das Flugzeug war gelandet, jetzt mussten sie ihr Gepäck holen und den Schlüssel vom Mietauto, und dann waren sie schon mitten im Verkehr und auf dem Weg zum Hotel. Tobias schaltete die Klimaanlage ein. Draußen hatte es mit neunundzwanzig Grad eine Temperatur, die Laura in der leichten Sommerkleidung zumindest im Schatten noch als angenehm empfand.
Im Hotel angekommen, sprangen sie erst einmal in den Pool. Das Hotel hatte einen kleinen Garten mit schattenspendenden Bäumen, in dem kleine Schilder auf die Gegenwart von Schildkröten aufmerksam machten. Und wirklich, Laura fand sie, wie sie sich schleppend durch die Wiese fortbewegten. Dann fuhren Tobias und Laura nach Cagliari und bummelten durch die Straßen, bevor sie ein Lokal zum Abendessen aussuchten.
Daniel und Nina waren noch zuhause; ihr Urlaub würde eine Woche später beginnen. Manchmal fantasierte Laura, Daniel wäre dabei und könnte all das sehen, was sie sah. Manchmal schickte sie ein Foto auf sein Handy.
Tobias war sichtlich gut gelaunt, worüber Laura froh war. Es war nicht schwer, hier in Ferienstimmung zu kommen.
Für den nächsten Tag planten sie den ersten Landausflug. Im Mittagslokal saßen Landsleute am Nebentisch. Sie unterhielten sich, und Laura dachte, gleich würde jemand eine gemeinsame Unternehmung vorschlagen, aber so war es nicht. Sie waren jetzt wirklich zu zweit. Nur in Lauras Vorstellung waren sie einmal zu dritt, dann zu zweit in wechselnder Besetzung: Daniel mit ihr und Tobias, sie mit Tobias, sie mit Daniel. Sie würden in den zwei Wochen wohl nicht telefonieren, aber danach würde sie ihm vom Urlaub erzählen.
Einmal rief Markus an, der nur eine kurze Einschätzung brauchte, wie Tobias später erklärte. Laura kritisierte ihn dafür ein bisschen; für sie war es, als würde er sich in ihren Urlaub einmischen. Sie waren gerade an einem Felsenstrand, die Wellen schlugen hoch auf den Felsen auf. Zum Baden war es hier nicht geeignet, aber der Anblick war beeindruckend.
Im Hotel gab es eine Katze, die im Garten herumschlich oder in einem der Liegestühle am Pool döste. Laura hob sie hoch, setzte sich in den Liegestuhl und nahm die Katze auf den Schoß. Das braun-schwarze Fell war heiß von der Sonne. Tobias hatte sich vorgenommen, einige Längen im Pool zu schwimmen.
„Ist das nicht schön, nur wir beide?“, fragte Laura, als er vom Schwimmen zurückkam. Tobias machte „hm“, trocknete sich ab und ließ sich auf dem Liegestuhl neben Laura nieder. „Morgen könnten wir zu dieser Grotte fahren“, sagte er.

In der Grotte dann schauten beide auf ihre Handys, weil sie Fotos verschickten, Tobias an Markus, Laura an Daniel. Letzterer schrieb „Schön!“ zurück. Das Verschicken von Fotos war eine spärliche Ersatzkommunikation. Laura vermisste die Gespräche mit Daniel, und jetzt waren sie erst drei Tage hier. Vermisste Tobias seine Freunde? Sie wollte nicht danach fragen, aber sie wusste ja, dass er gern mit Markus und Stefanie hierher gefahren wäre.
Zurück im Zimmer, umarmte sie Tobias und küsste ihn. Er erwiderte beides, die Umarmung und den Kuss. Dann ging er duschen, bevor sie zum Abendessen in die Stadt fuhren.
Sie gingen vom Parkplatz weg in die Altstadt, wo die Leute mehr und mehr wurden. Plötzlich war Tobias nicht mehr zu sehen. Laura versuchte, ihn zu finden im Gewühl, rief ein paarmal seinen Namen und dachte, sie würde wohl zum Auto zurückgehen müssen. Zuerst schaute sie noch nach ihm aus, er konnte doch nicht weit sein. Sie stellte sich auf eine Bank auf einem Platz gleich neben der Straße, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Sie sah ihn nirgends. War er ohne sie die alte Gasse weitergegangen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie blieb auf der Bank stehen und suchte in der Menge. Da, endlich, rief jemand ihren Namen, und mit Erleichterung sah sie Tobias auf sich zukommen. „Du warst auf einmal weg“, sagte sie.
Wieder saßen sie im Auto, auf dem Weg zu Sehenswürdigkeiten, die der Reiseführer empfahl. Was sie erlebten und sahen, ergab viel an Gesprächsstoff, auch wenn sie manchmal schwiegen oder nur der Musik aus dem Radio zuhörten. In einer kaum bevölkerten Gegend nahmen sie einen jungen Mann mit Tramperrucksack mit. Laura fragte ihn, wo er herkam. „Spain“, antwortete er.
„Da könnten wir auch mal hinfahren“, sagte Laura zu Tobias. Der junge Mann sprach gut Englisch, und Laura unterhielt sich mit ihm. „Jetzt müssen wir ihn aber bald wieder loswerden“, sagte Tobias scherzend, „wir sind ja nicht mehr zu zweit.“
„Das ist aber etwas anderes“, meinte Laura.
„Wirklich? Inwiefern?“
Laura dachte kurz nach und sagte dann: „Bei ihm hier müsste ich erst herausfinden, wie gut er zu mir oder zu uns passt. Bei deinen Freunden weiß ich schon, dass sie nicht passen.“
Tobias sagte nichts, warf ihr aber einen kurzen, irritierten Seitenblick zu, den sie sogar verstehen konnte. So deutlich hatte sie nie gesagt, was sie empfand, und so, wie sie es gesagt hatte, war auch keine Änderung möglich.
Der Tramper wollte gerne stehenbleiben, um Fotos mit seiner Spiegelreflexkamera zu machen. Sie fuhren gerade an der Küste entlang, wo der Salzgeruch des Meeres in der Luft lag. Laura stieg ebenfalls aus, kletterte ein paar Felsen hoch bis nahe zum Wasser und fotografierte die schäumende Gischt mit dem Handy. Pablo stieg zu ihr hoch und fragte, ob sie fotografiert werden wolle, was sie bejahte. Sie rief nach Tobias, aber er hörte sie nicht. Sie ging den ganzen Weg zurück zum Auto.
„Wenn du auch hinunterkommst, macht Pablo ein Foto von uns beiden“, sagte sie.
„Ach, das machen wir ein anderes Mal“, sagte Tobias.
„Aber der Strand hier ist toll.“
„Ich will lieber weiterfahren.“
Laura verstand ihn nicht. Sie waren auf Urlaub in einem schönen Land, und er wollte die Entdeckungen nicht auskosten. Und sie mussten ohnehin noch auf Pablo warten.
Seine Laune schien verändert. Er sagte auf der weiteren Fahrt nicht mehr viel. Sie verabschiedeten sich von Pablo im nächsten Ort, wo sie zu Mittag aßen.
„Wie willst du das lösen?“, fragte er. „Die Situation mit den anderen.“
„Ich weiß es nicht“, sagte Laura. „Es gibt keine Lösung.“
„Es muss eine geben.“
„Ich gehe nur noch selten mit, wenn du sie triffst. Oder gar nicht.“
„Das sind keine guten Aussichten.“
„Weißt du, wie ich mich mit ihnen fühle?“
„Ich fange an, das zu begreifen. Du willst das wirklich nicht.“
Er zögerte.
„Passen wir denn zusammen?“
„Aber natürlich“, sagte Laura, die über die Frage erschrak, ohne es sich anmerken zu lassen.
Sie ergriff seine Hand und sagte leise und eindringlich: „Wir passen zusammen.“

13

Laura saß in einem Autobus auf dem Weg in ein Fischerdorf. Tobias war mit dem Auto unterwegs. Sie waren sich nicht einig geworden und hatten daher beschlossen, den Tag getrennt zu verbringen, wobei Tobias den Vorschlag machte. Laura war ein bisschen traurig darüber. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte Tobias von ihrem Ziel überzeugen können.
Dafür schickte sie Daniel gleich ein Foto, Fischerboote im Hafen und glitzerndes Meer. Es kam keine Antwort, er war noch in der Arbeit. Sie schlenderte durch die Gassen und fand ein hübsches Café zum Mittagessen. Und obwohl sie wusste, dass Daniel das Foto sehen würde, obwohl sie am späten Nachmittag wieder auf Tobias treffen würde, fühlte sie sich allein. Sie fragte sich, ob Tobias sich auch so fühlte. Sie wollte ihn anrufen und hielt sich zurück, weil er vielleicht allein sein wollte. Auf einmal kam ihr der Gedanke, dass er sie verlassen könnte. Er konnte eine Freundin finden, die all die Unternehmungen mit seinen Freunden mochte. Was würde dann aus ihr? Wen hätte sie dann noch außer dem weit entfernten Daniel und den Arbeitskolleginnen, mit denen sie nicht befreundet war?
Sie las etwas im Reiseführer, während sie auf das Essen wartete. Ein deutscher Tourist fragte, ob sie die Speisekarte noch brauche. Sie verneinte und reichte sie ihm. Er fing ein Gespräch an, das sie höflich erwiderte, wo sie schon gewesen sei und wo sie noch hinwolle. Nein, sie sei nicht allein im Land, nur heute ausnahmsweise allein unterwegs. Sie wollte ihn fragen, wie das sei, einen ganzen Urlaub allein zu verbringen, hielt sich zurück und fragte dann doch.
„Das geht schon“, sagte er. „Ich rede mit vielen unterschiedlichen Menschen, so wie jetzt mit Ihnen. Man muss sich nur aus sich hinaustrauen.“
„Aber das, was man sieht und erlebt, mit jemandem teilen, das fehlt mir, wenn ich es nicht habe.“
„Oh, ich verschicke genug Fotos nachhause“, sagte er.
„Das heißt, zuhause gibt es… Freunde“, sagte Laura und dachte, sie konnte ihn unmöglich derart ausfragen, er war ja ein Fremder.
Aber es schien ihn nicht zu stören.
„Ja, die gibt es.“
„Warum fahren Sie dann nicht mit einem von ihnen fort?“
„Die fahren in Urlaub mit der Partnerin oder dem Partner. Oder auch gar nicht.“
Das Essen wurde serviert, bevor Laura ihm weitere Fragen stellen konnte, denn jetzt waren sie mit dem Essen beschäftigt und schwiegen. Außer ihnen waren keine weiteren Gäste in dem kleinen Gastgarten, der im Schatten lag und angenehm kühl war.
Laura überlegte, ob sie das fertigbrächte, einen ganzen Urlaub allein zu verbringen. Sie würde sich selbst bedauern, dachte sie, und sich elend fühlen, auch wenn es Fotos und Handys gab. Sie würde ihre Füße von der Meeresbrandung umspülen lassen und hätte niemanden neben sich, der dasselbe tat und dasselbe spürte. Dieser eine Tag war genug des Alleinseins. Der Mann am Nebentisch tat ihr auf einmal leid.
„Ich wollte noch zum Strand“, sagte sie. „Wenn Sie wollen, können Sie mich begleiten.“
Sie machten sich bekannt und duzten sich. Er hieß Thomas.
Es war nicht der Badestrand des Dorfes, der etwas abseits lag. Dieser Strand neben den Fischerbooten war ganz klein, Badegäste sah man hier nicht. Trotzdem konnte man die Schuhe ausziehen und ins Meer hineinwaten. Sie drehte sich zu ihrem Begleiter um, der zögernd stehengeblieben war. Jetzt setzte er sich auf den sandigen Boden und sah ihr zu, oder vielleicht betrachtete er auch das gesamte idyllische Bild. Er packte sein Handy aus und begann auf ihm herumzutippen, und Laura drehte sich wieder dem Meer zu. Sie sah auf die Uhr, es war noch Zeit. Schließlich watete sie heraus aus dem Meer und setzte sich neben den Fremden. Sie ließ die Füße trocknen, putzte den Sand ab und zog ihre Sandalen wieder an.
„In einer Stunde geht mein Bus“, sagte sie.
„Ich übernachte hier“, sagte er. „Morgen fahre ich weiter.“
„Dann wirst du wohl allein zu Abend essen. Das ist schade, ich hätte dir gern Gesellschaft geleistet.“
„Das macht mir nichts aus“, sagte er.
Sie schickte ein Foto vom Hafen an Tobias und wunderte sich, dass sie von ihm noch keines erhalten hatte. Vielleicht gab es in dem Museum nichts, was er verschicken wollte.
Sie setzten sich in ein anderes Café direkt am Hafen. Auf einmal gab es Gesprächsthemen, Thomas erzählte von der bisherigen Reise, wo sich manches überschnitt mit dem, was Laura und Tobias gesehen hatten. Die Zeit verging wie im Flug, und Laura musste aufbrechen. Er begleitete sie zur Bushaltestelle, wo sie sich unschlüssig gegenüberstanden.
„Meine E-Mail-Adresse hast du“, sagte Laura.
„Und du meine.“
Laura glaubte nicht, dass sie sich schreiben würden, ein- oder zweimal vielleicht. Das hier würde ihr einziger Kontakt bleiben, und sie mussten ihn auskosten. Ohne lange zu überlegen, fiel sie ihm um den Hals, und so standen sie dann, einander umarmend für ein paar Sekunden, bevor sie in den Bus einstieg.

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