Freunde, Teil acht


16

Ein Lokal veranstaltete ein Sommernachtsfest, im Stadtgarten bei freiem Eintritt. Laura rief Daniel an, ob er – mit oder ohne Nina – Lust hätte, noch mal herzufahren. Natürlich wären auch die üblichen Leute dabei, Markus und Stefanie und Paul und Sofia. Vielleicht würde Tobias andere Bekannte treffen. Es würde mehr Gelegenheit geben, mit anderen als den Üblichen zu reden. Daniel fragte erst Nina und sagte dann zu, für sie beide.
Es hatte nach einem Gewitter ausgesehen, das aber vorbeigezogen war. Jetzt war die Luft immer noch warm vom Sommertag. Die Leute standen beisammen oder saßen auf Barhockern oder an Tischen. Paul und Sofia kamen mit Verspätung, und wie schon einmal hatte Laura das Gefühl, dass da etwas unklar war zwischen ihnen, eine drückende Stimmung, die sie zu verdecken versuchten.
Sie bestellten sich Wein und Tapas, und Laura setzte sich auf einen freien Barhocker. Und wirklich: Tobias kannte hier auch andere Leute, die vorbeikamen und mit ihm redeten. Teilweise waren es gemeinsame Bekannte von ihm und Markus.
Sofias Haltung Laura gegenüber war unverändert, sie begegnete ihr mit kühler Distanz. Auch Daniel merkte es, als Laura ihm einen Blick zuwarf.
„Sofia“, sagte er, „ich muss dich etwas fragen. Bist du immer so… distanziert?“
Sie gab sich entrüstet.
„Ich bin doch nicht distanziert!“
„Doch“, sagte Daniel, „und wie. Man kommt sich ein bisschen vor wie fehl am Platz, wie unerwünscht.“
Sofia starrte ihn mit offenem Mund an. Laura sah Daniel überrascht an. Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas.
„Also wenn ich so wirke, dann höchstens deshalb, weil mir missfällt, wenn sich jemand mit fremden Federn schmückt.“ Dabei wanderte ihr Blick zu Laura.
„Ist das eine Anspielung auf den chilenischen Dichter?“, fragte Daniel.
Sofia nickte kurz.
„Das ist mir selber eingefallen“, sagte Laura zum wiederholten Mal.
Daniel deutete auf Laura. „Ja, und ich glaube ihr.“
Sofia sagte nichts.
Dann sagte Daniel: „Warum gibst du nicht einfach zu, dass du sie nicht magst, anstatt irgendwelche Dinge zu unterstellen?“
Sofia rutschte von ihrem Barhocker herunter.
„Jetzt reicht es mir“, sagte sie. „Paul, ich möchte gehen.“
Paul sah auf die Uhr.
„Es ist erst zehn.“
Die beiden verzogen sich in eine ruhigere Ecke, man konnte sehen, wie sie debattierten. Tobias sah Daniel an, und es war eine Spur von Vorwurf in seinem Blick.
„Entschuldige, Laura“, sagte Daniel. „Das ist meine direkte Art. Ich mag es nicht, wenn Dinge unter der Oberfläche schwelen.“
„Du musst dich für nichts entschuldigen“, sagte Laura. „Und ich glaube auch, dass sie mich nicht mag, warum auch immer.“
„Vielleicht, weil du kreativ bist.“
Paul und Sofia kamen zurück und wandten sich an Markus, Stefanie und Tobias.
„Wir gehen.“
Laura, Daniel und Nina würdigten sie keines Blickes. Auf einmal ging ein Riss durch das Bild, eine Gruppe stand einer anderen Gruppe gegenüber. Am liebsten wäre Laura mit Daniel und Nina woanders hingegangen, denn Tobias wirkte aufgebracht über das vorzeitige Gehen von Paul und Sofia. Aber das hätte ihn noch mehr verstimmt.
Bis halb zwölf blieben sie noch, was schwer genug war. Tobias und Laura begleiteten Daniel und Nina zum Hotel. Am nächsten Tag wollten sie ins Gebirge hinauffahren, sie vereinbarten eine Zeit am Vormittag.
„Fahr du mit ihnen hinauf“, sagte Tobias. „Ich bleibe hier.“
„Bist du sicher? Es wird ein schöner Tag.“
„Es sind schließlich deine Freunde.“ Er lächelte wehmütig.
„Ich habe das Gefühl, du verstehst gerade etwas“, sagte Laura.

Die vollbesetzte Gondel glitt den Berg hinauf. Laura kannte die Strecke und den Blick von oben von mehrmaligen Fahrten. Für Daniel und Nina war es neu, und sie staunten. Nina machte Fotos mit einer kleinen digitalen Kamera. Sie fragte jemanden, ob er ein Bild von ihnen allen machte. Sie rückten zusammen, Laura, Nina in der Mitte und Daniel. Nina versprach, ein paar Fotos per E-Mail zu schicken. Dann aßen sie zu Mittag im Bergrestaurant und saßen dabei in der Sonne. Laura hoffte, dass Nina einmal genug Vertrauen haben würde, um Daniel allein zu ihr fahren zu lassen, denn die Qualität der Gespräche war sehr unterschiedlich. Es war hier nicht der Rahmen zum Erzählen, zum Sich-Öffnen, so wie sie das am Telefon schon getan hatten.
Laura brachte die beiden mit dem Auto zum Bahnhof. Die gemeinsame Zeit, vor allem mit Daniel, war viel zu kurz gewesen.
„Wir telefonieren“, sagte er zum Abschied, und es klang wie ein Trost.

17

In der Arbeit wurde geredet, dass es Einsparungen geben sollte. Vielleicht würden Stellen gekürzt oder gestrichen werden. Laura hoffte, dass ihre Stelle nicht davon betroffen war. Aber dann wollte die Chefin mit ihr reden.
„Sie arbeiten bei uns seit gut drei Jahren“, sagte sie. „Ich muss Ihnen leider sagen, dass es Kürzungen im Personalbereich gibt. Man könnte auch die ganzen Stellen in halbe umwandeln, aber wir arbeiten lieber mit zwei Vollzeitmitarbeiterinnen. Es tut mir leid für Sie.“
Die Chefin schüttelte ihr die Hand, und Laura trottete mit hängenden Schultern hinaus. Unten ging sie in den Pausenraum und setzte sich. Es war schwer vorstellbar, dass sie nicht mehr hier sein würde. Es war kurz vor Dienstschluss, draußen wurden die letzten Bücher des Tages ausgeliehen. Sie wartete auf Sandra und Nicola, um mit ihnen zu reden.
„Ich bin gekündigt“, sagte Laura.
„Das heißt, wir sind in Zukunft zu zweit“, sagte Sandra. „Die andere halbe Stelle wird wohl auch gestrichen.“

Die Tränen flossen erst, als Laura zuhause war. Sie empfing Tobias an der Tür mit verweintem Gesicht. Er sah erschrocken aus und wirkte fast erleichtert, dass es sich nur um den Verlust der Arbeitsstelle handelte.
„Das kriegen wir schon hin“, sagte er, „auch wenn du nicht so schnell etwas findest.“
„Du hast dann mehr Zeit zum Malen“, sagte Daniel, als sie ihn anrief.
„Aber ich mache diese Arbeit gern“, sagte Laura, „und ich war unter Leuten.“
„Das ist traurig, das verstehe ich. Ich will da auch gar nicht alles ins Positive umdeuten.“
Wie so oft sagte Daniel das Richtige, was einer der Gründe war, warum sie ihn mochte.
„Wann kommst du wieder zu Besuch?“, fragte sie.
„Von mir aus bald“, erwiderte er, „aber ich muss zuerst mit Nina reden.“
Der Satz stimmte Laura nicht gerade optimistisch. Sie hatte Nina erlebt, sie hatte gespürt, dass sie Daniel nicht gern mit ihr alleinließ.

Sie machte sich nicht nur auf die Suche nach einer neuen Arbeit, sondern auch nach neuen Motiven. Sie zeichnete Stillleben von Küchenkräutern, von Tontöpfen und Zwiebeln, sie ging mit ihrer kleinen Digitalkamera spazieren und fotografierte Blumen und Bäume inmitten eines Rapsfeldes. Die restlichen Wochen in der Bücherei vergingen wie im Flug.
Die früheren zwei freien Tage in der Woche waren optimal gewesen, um den kreativen Dingen nachzugehen. Jetzt war jeder Tag groß und leer, und sie musste ihn füllen. Manchmal lag sie einfach nur auf dem Bett und war zu träge, um etwas anzufangen. Manchmal hatte sie gekocht, wenn Tobias am Abend heimkam. Oder sie war ins Malen hineingekommen, und es gab nur etwas Kaltes zu essen.
Daniel rief nicht mehr so oft an wie früher. Wenn Laura ihn außerhalb seiner Arbeitszeiten anrief, vertröstete er sie meistens auf ein anderes Mal, und Laura meinte am Ton seiner Stimme zu erkennen, dass Nina in der Nähe war. Sie fragte ihn, ob sie einen fixen Zeitpunkt finden könnten, an dem sie jeweils alleine waren, und er sagte, das vielleicht nicht, aber manchmal gehe er alleine spazieren und könnte sie dann anrufen. Es war ganz schön kompliziert, einen guten Freund zu haben.
Laura war trotzdem froh darüber. Eine Liebesbeziehung konnte überlastet werden, wenn ihr alles aufgetragen wurde, jede Sorge und jede Angelegenheit, die ein offenes Ohr brauchte. Ein Mensch allein reichte nicht.

Nach längerer Zeit gab es wieder eine Einladung bei Markus und Stefanie. Laura hatte keine große Lust darauf. Sie müsse sich zwingen, sagte sie zu Tobias. Sie wisse schon im Vorhinein, dass sie sich nicht wohlfühlen werde.
Also blieb sie allein zuhause. Daniel war nicht erreichbar, und so lag sie nach dem Essen auf der Couch und sah fern, eine Dokumentation über den New Yorker Central Park, wo sie unbedingt einmal hinwollte. Um elf war Tobias noch nicht zuhause, und sie ging Zähne putzen. Dann legte sie sich ins Bett und beschloss, auf Tobias zu warten. Um halb zwölf war er immer noch nicht da, und sie lag weiter dösend im Bett und nickte schließlich ein. Als Tobias nach Hause kam und sie aufwachte, war es halb eins.
„Wie war’s?“, fragte sie schlaftrunken.
„Schön“, erwiderte er.
Sie roch den Wein, den er getrunken hatte, und sie meinte auch den Wohnungsgeruch wahrzunehmen, den es bei Markus und Stefanie hatte. Und sie nahm eine Veränderung wahr, von der sie nicht wusste, was es war.
„Wer war denn alles dort?“, fragte sie am nächsten Tag beim Frühstück.
„Ich, Markus, Stefanie, Paul, Sofia – und Miriam.“
„Welche Miriam?“
„Ich habe sie vorher auch nicht gekannt. Scheint ganz nett zu sein.“
„Heißt das, sie haben für dich eine Frau dazu eingeladen?“
Tobias‘ Stimme nahm einen beschwichtigenden Tonfall an.
„Nein. Sie wollten eine gerade Zahl. Und sechs Leute können sie leicht bekochen.“
Laura schaute ihn groß an.
„Es klingt aber ganz danach, dass sie für dich eine Frau eingeladen haben.“
Tobias sagte nichts mehr und frühstückte in demonstrativer Ruhe weiter. Das Thema war für ihn offenbar erledigt.
Für Laura war es das nicht. Was war, wenn er Gefallen an dieser Miriam fand? Wenn er feststellte, dass sie besser in diese Gesellschaft passte? Sie wollte nicht das Gefühl haben, auf ihn aufpassen zu müssen, sie wollte ihm vertrauen können.

Die Tage wurden leerer. Sie hatte schon so viel gemalt. Die Bilder stapelten sich auf dem Schreibtisch, und sie fand in der unmittelbaren Umgebung keine Motive mehr. Sie hängte zwei Bilder ins Schlafzimmer und verstaute den Rest im Kleiderschrank.
Sie versuchte sich an abstrakten Bildern und war wenig zufrieden mit den Resultaten. War das alles, was sie mit ihrem Leben anfangen konnte? Die Frage lastete wie ein Fels auf ihr. Sie malte weniger und brachte die Zeit mit Lesen, Spazierengehen und Fernsehen herum.
Sie müsste jetzt einen Schritt vorwärts machen, empfand sie. Etwas verkaufen, ausstellen, Anerkennung für ihre Bilder ernten. Aber sie wusste nicht, wie sie es anstellen sollte.

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