Freunde, Teil vier


8

„Ich komme nicht mit“, sagte Laura. Geplant war ein Ausflug zu viert, eine kurze Wanderung zu einem Waldgasthaus. „Wann machen wir wieder etwas zu zweit? Wann sind wir wieder für uns?“
„Zuhause“, erwiderte Tobias. „Jetzt gerade. Beim Einkaufen. Jeden Tag, wenn wir gleichzeitig in der Wohnung sind.“
„Aber wann unternehmen wir wieder etwas zu zweit?“
Tobias schien irritiert über Lauras Unwillen. Für ihn war diese Gesellschaft in Ordnung, er musste sich nicht als unpassend erkennen, er langweilte sich nicht, ihm wurde nichts unterstellt.
Aber Aktivitäten zu zweit sind doch wichtig, dachte Laura. Sie hoffte, es war kein schlechtes Zeichen für ihre Beziehung, dass Tobias so oft in Gruppenunternehmungen wollte.
Diesmal ging es im Sinne von Laura aus. Tobias rief Markus an und teilte ihm mit, dass sie das Wochenende zu zweit verbringen wollten.
Laura ging zur Staffelei ins Schlafzimmer und malte Zeus und Io nach den angefertigten Skizzen. Danach suchte sie Saras Telefonnummer auf dem Handy und rief sie an.
„Hallo Laura“, hörte sie ihre Stimme. Sara hatte ihre Nummer offenkundig gespeichert und ihren Namen auf dem Display gesehen.
„Ich habe gerade deine Vögel gemalt“, sagte Laura. „Wie geht es dir?“
Es war keine Floskel. Es war eine anteilnehmende, ehrliche Frage.
„Ganz gut“, sagte Sara, aber man konnte hören, dass es ein den Umständen entsprechendes „Ganz gut“ war. „Ich werde in eine andere Wohnung ziehen. Wir trennen uns. Vielleicht vorübergehend, aber im Moment geht es so nicht weiter.“
„Schade“, sagte Laura.
„Also wenn du noch mal kommen willst zum Abzeichnen, dann bis spätestens Freitag.“
„Nein, ist schon gut, ich habe jetzt genug Skizzen.“
Das war vermutlich das Ende des Kontakts zu Sara. Und Laura wusste nicht einmal, ob Sara besser zu ihr passte als Sofia oder Stefanie.
„Soll ich dir beim Umziehen helfen?“, fragte sie dennoch.
„Nein, lass nur, das schaffe ich schon.“
Laura wusste nicht, warum sich die beiden trennten, warum eine Liebe verschwand, die doch dagewesen sein musste. Es machte sie melancholisch.

Sie gingen zusammen am See spazieren. Die Sonne wärmte schon ein bisschen, und es waren Krokusse und Schneeglöckchen zu sehen.
„Ich finde nicht hinein“, sagte Laura, „in diese Gesellschaft.“
Tobias sah sie kurz an und sagte nichts.
„Ich passe nicht dazu.“
„Warum solltest du nicht dazupassen?“, sagte Tobias. „Wir beide passen doch zusammen. Und meine Freunde passen dann auch zu dir.“
„Aber der einzige wirkliche Freund für dich ist Markus. Die anderen sind nicht jeder für sich genommen Freunde von dir. Sie sind einfach dabei. Das sind oberflächliche Bekanntschaften.“
„Sie sind Gesellschaft, und das ist nicht das Schlechteste.“
„Wirkliche Beziehungen gibt es nur zwischen Individuen“, sagte Laura. „Ein Einzelner auf einen anderen Einzelnen bezogen. Bei diesen Treffen zu sechst oder zu viert bist du auf eine Gruppe bezogen.“
„Kann schon sein, aber das reicht mir“, sagte Tobias. „Ich sehe das nicht so kompliziert wie du.“
„Du kannst dich ja auch einbringen, wenn es um eure Arbeit geht. Du sitzt dann nicht schweigend da und fühlst dich im Abseits.“
„So fühlst du dich? Im Abseits?“, fragte Tobias.
„Ich fühle mich nicht zugehörig“, sagte Laura.
Tobias blieb stehen. „Und was bedeutet das? Dass du all diese Treffen nicht willst?“
Laura sah ihn an und dachte kurz nach.
„Zumindest nicht so oft.“
Nach dieser Unterredung wünschte Laura sich, mit Daniel reden zu können. Sie zog sich zuhause ins Schlafzimmer zurück, wo sie ungestört telefonieren konnte. Sie war froh, dass er abhob und Zeit hatte. Nachdem sie die Situation mit den Paartreffen geschildert hatte, sagte Daniel, das könne er sich gut vorstellen. Aber eine Lösung, mit der alle zufrieden wären, habe er auch nicht. Dann redete er von ihrer neuen Wohnung und von Nina und dass sie das Kinderthema langsam angehen wollten, ohne Druck. Danach redete Laura übers Malen und über Sara und über das Spiel mit der Pantomime, das sie so gern öfter spielen wollte. Schließlich war sie erstaunt darüber, dass eine Stunde vergangen war.
„Und lass die Leute glauben, was sie wollen“, sagte er noch. „Beteuern bringt da meistens nichts. Irgendwann sehen sie vielleicht, dass sie unrecht hatten.“
Aber was für Freunde sollen das sein, dachte Laura.

Laura streikte weiterhin, wenn es um Treffen zu sechst ging. Es war alles so harmonisch und passend gedacht, aber das war nicht die Wahrheit. Die Wahrheit war, dass Sofia sie nicht mochte und Stefanie nicht viel mit ihr anfangen konnte. Vielleicht lag es daran, dass Laura kreativ war und die anderen beiden Frauen nichts dergleichen taten. Vielleicht war es Neid, aber dass wusste Laura nicht.
„Du kannst dich nicht ewig entziehen“, sagte Tobias. „Wie sieht das aus, wenn du nie mitkommst.“
„Also das kümmert dich, wie es aussieht“, erwiderte Laura. „Wie es mir geht, offenbar nicht.“
Tobias sagte einen Moment nichts, und dann sagte er: „Worum geht es hier eigentlich? Dass Sofia glaubt, du hättest abgeschrieben? Du hast doch gesagt, es stimmt nicht. Das muss reichen, mehr kannst du nicht tun.“
„Es geht auch darum, dass ich nicht dazupasse, Tobias.“
„Und zu Daniel passt du wohl besser, oder du glaubst es.“
„Unser Austausch ist jedenfalls gut.“

9

„Du gehst nicht mit?“, fragte Sandra verwundert. „Tobias geht ohne dich hin?“
Laura nickte.
„Aber dann bist du ganz allein, an einem Samstagabend.“
„Dann male ich eben oder lese oder sehe fern.“
„Mit welcher Begründung gehst du nicht mit?“
„Dass ich etwas anderes vorhabe.“
Sandra schüttelte den Kopf.
„Weißt du, manchmal dauert es eine Weile, bis man mit anderen warm wird.“
„Ich habe es ja versucht.“
Laura hatte ein paar Zweige mit frischen Knospen und Blüten mitgenommen, die jetzt in der Vase auf dem roten Tischdeckchen standen. Der Frühling zog ins Land, und er verbreitete Aufbruchstimmung und Lust auf Neues.
Kurz vor Ladenschluss kam Tobias herein, um Laura abzuholen, was er seit ihrer Anfangszeit in der gemeinsamen Wohnung nicht mehr getan hatte. Er wartete, bis Laura mit allem fertig war, und ergriff draußen im Gehen ihre Hand.
Laura fragte sich, ob er sie damit umstimmen wollte, was das kommende Wochenende betraf. Aber nein, er redete nicht davon, stattdessen redete er von Sardinien, ohne eins der anderen Paare auch nur zu erwähnen. Es klang wohlig nach Zweisamkeit, und Laura lächelte.
Während sie ein Abendessen kochten, rief Daniel an, und Laura telefonierte mit Freisprechkabel und Stöpsel im Ohr. Sie wurde ein wenig unaufmerksam, und Tobias verscheuchte sie bald vom Herd, weil er allein zurechtkam. Daniel richtete schöne Grüße an Tobias aus.
„Noch ein Paar“, sagte Tobias. „Ein Glück, dass sie weit weg wohnen.“
Laura protestierte. „In diesem Fall ist das kein Glück. Nina kenne ich nicht, aber Daniel ist ganz anders als Paul oder Markus. Und sie lieben das Spiel mit der Pantomime.“
Laura begann ein neues Bild zu malen, wieder mit Saras Vögeln und diesmal ohne Worte. Sie hatte vor, den kommenden Samstagabend allein zu genießen. Sie würde kompromisslos sie selbst sein und das tun, was sie mochte. Sie würde die Gesellschaft der anderen nicht vermissen.

Am Samstagabend zog Tobias sich an, während Laura sich in der Küche ein paar Brote machte. Die Stimmung zwischen ihnen war eigenartig, nicht ärgerlich oder etwas Ähnliches, aber so, dass sich etwas veränderte, als würde heute das Band zwischen ihnen an Kraft verlieren. Sie waren sich heute nicht nahe.
Tobias stand an der Tür, während Laura mit einem Teller ins Wohnzimmer ging.
„Bekomme ich einen Kuss?“, fragte er.
„Aber natürlich.“ Laura gab ihm einen Kuss auf die Lippen, umarmte ihn und wünschte viel Spaß, was mitschwingen ließ, dass sie dort keinen hätte.
„Und ich sage, du hast heute etwas anderes vor.“
„Nein, sag die Wahrheit, dass ich nicht mitkommen wollte.“
Tobias schaute so drein, als wollte er genau das nicht sagen, aber Laura äußerte sich dazu nicht weiter.
Dann war sie allein. Daniel ging heute mit Nina in ein Konzert, und vielleicht hätte sie ihn sonst angerufen für einen kurzen Austausch, bevor sie malen ging.

In der Küche lag ein an sie adressiertes Kuvert, das die Einladung zu einer neuen Malwoche im kommenden August enthielt. Vielleicht würde sie dort all die Leute treffen, die ihr nicht geantwortet hatten, und Daniel wäre nicht dabei, weil er damals nur etwas ausprobieren wollte. Vielleicht hätte sie nicht mehr dieses Hochgefühl, sich in einer Gemeinschaft absolut passend zu fühlen, und wäre am Ende enttäuscht. Sie legte die Einladung im Schlafzimmer auf ihren Schreibtisch.
Als Tobias spät nachhause kam, hatte sie sich eben erst ins Bett gelegt. Sie roch den Wein, den er getrunken hatte. Sie fragte ihn, wie es gewesen sei, und er sagte: „Nett. Aber du hast gefehlt.“ Er legte sich hin und löschte das Licht, allmählich wurde seine Atmung ruhiger. Sie hatte das Gefühl, dass er sie ansah, bevor er die Augen schloss.
Sie dachte an Daniel, der sich wie sie bei gesellschaftlichen Anlässen auch schnell langweilte. In diesem Punkt war er ganz anders als Tobias. Sie hoffte für Daniel, dass das Konzert schön gewesen war und er einen wundervollen Abend mit Nina gehabt hatte. Sie wollte ihn bald anrufen.

Die nächste Abendgesellschaft war bei Paul und Sofia geplant, einige Wochen später. Lisa verneinte Tobias‘ Frage, ob sie mitkommen wolle.
„Willst du jetzt nirgends mehr dabei sein?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht. Nicht gerade mit diesen zwei Paaren vielleicht.“
„Aber Markus ist einer meiner besten Freunde. … Und Paul ist doch auch in Ordnung, und Sofia und Stefanie auch. Ich weiß nicht, was du hast.“
„Oh, Paul, der gesagt hat, ich soll mir keine Hoffnungen machen, dass ich meine Bilder verkaufen kann. Und Sofia, die mir unterstellt hat, ich hätte bei einem Dichter abgeschrieben. Und Stefanie, die es geglaubt hat. Meine Freunde sind das nicht.“
Sie hatte sich bei den letzten Sätzen ein bisschen aufgeregt, und Tobias‘ Gesichtsausdruck bekam etwas Trauriges.
„Dann lassen wir es eben.“
Ohne ein weiteres Wort zog er sich Schuhe und Jacke an und verließ die Wohnung. Laura lief ihm in Hausschuhen hinterher.
„Was lassen wir?“
„Laura, ich will allein sein.“
„Was lassen wir?“
„Ich weiß es nicht. Die Einladungen bei anderen. Freundschaften pflegen, die für dich ja keine sind. Dann sind wir eben allein zu zweit, und ob das so gut ist, weiß ich nicht.“
Laura schaute ihn, auf dem Gehsteig stehend, wortlos an.
„Ich mache jetzt einen Spaziergang“, sagte er, „allein“.
Er drehte sich um und ließ sie stehen.
Als sie zurück in der Wohnung war, rief sie Daniel an.
„Wie es aussieht, werde ich wohl doch wieder zu den Paartreffen gehen, nicht zu allen vielleicht. Tobias macht es traurig, wenn ich nicht dabei bin.“
„Aber du bist doch unglücklich unter diesen Leuten“, sagte Daniel.
Laura dachte, dass er damit recht hatte, sagte es aber nicht.
„Können wir uns mal treffen?“, fragte sie. „Irgendwo auf halber Strecke, dann muss nicht einer die ganze Strecke fahren. In Salzburg zum Beispiel.“
Er zögerte einen Moment. „Ich weiß nicht, ob Nina einverstanden ist. Und es läuft gerade so gut zwischen uns.“ Er klang traurig.
Er musste es also absprechen mit ihr, das wäre Laura im umgekehrten Fall nicht im Traum eingefallen. Mitteilen ja, wen man traf, aber nicht um Erlaubnis fragen. Sie hatte große Lust auf ein Treffen zu zweit mit Daniel, aber gar keine Lust auf die Abende mit Tobias‘ Freunden. Und sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Außerdem rückte Sardinien näher, und sie wollte dort keinen traurigen Tobias haben, sondern einen fröhlichen, froh über ihre Zweisamkeit.

Aus dem Frühling wurde Frühsommer, und Laura fuhr auf einen Ausflug mit den anderen zwei Paaren mit. Ihr entging nicht der Gesichtsausdruck von Sofia, die die Augenbrauen hochzog und damit zu verstehen gab, dass sie überrascht war über Lauras Auftauchen und es nicht wertschätzte. Eine offene Feindschaft zeigte sie allerdings nicht. Alles an ihr blieb so, dass die anderen nicht unbedingt merken mussten, was Laura merkte. Sie fragte sich, ob Sofia sie auf diese Weise loswerden wollte. Schließlich war es für sie doch eine Anstrengung, Laura gegenüber so kühl zu sein. Fröhlich war sie im Gespräch mit Stefanie oder den anderen.
Laura und Tobias fielen auf dem Weg ein wenig zurück, und Laura fragte Tobias, ob ihm nicht auffalle, wie Sofia ihr gegenüber sei.
„Ein bisschen distanziert vielleicht“, sagte er, „aber so gering, dass ich mir nichts daraus machen würde. Ich würde da nichts hineininterpretieren.“
„Wenn es einen selber nicht trifft, bekommt man es auch nicht zu spüren“, sagte Laura. „Du wirst von ihr und Paul ja akzeptiert.“
„Und du glaubst, mit Daniel und seiner Freundin wäre das anders? Wenn wir uns als Paare treffen würden?“
„Ich weiß nicht, wie es mit Nina wäre. Aber Daniel ist ein sehr netter Mensch.“
Und sie fügte noch hinzu: „Sie sind sowieso zu weit weg.“
Im Gasthaus versuchte Laura Tobias zu einem frühen Aufbruch zu bewegen, indem sie ihn über den Tisch hinweg ansah und ans Bein stupste. Sie hatte damit nicht gleich Erfolg. Endlich saßen sie im Auto und fuhren nachhause.
Sie fand es ermüdend, noch einmal mit Tobias über das Thema zu reden. Es war längst alles gesagt, und es lag an ihr, so weiterzumachen oder sich zu entziehen.
„Ich sehe schon, wir fahren zu zweit nach Sardinien“, sagte Tobias. Er klang so, als könnte er sich damit anfreunden.

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