Ein Hoch auf das Individuum!

Vor allem zwei Dinge mag ich an der Astrologie (trotz der Kehrseiten, die größere Bewusstheit mit sich bringen kann). Zum einen kann man mit ihr das, was Menschen erleben und erfahren, in größere Zusammenhänge einordnen, in zugrundeliegende Bedeutungen, und das ermöglicht einen viel umfassenderen Blick auf den Menschen und das Leben, als wenn man die Wahrnehmung nur auf die Lebenserfahrungen beschränken würde.
Zum anderen verdeutlicht die Astrologie die Individualität des Menschen.

Was ein Mensch mag, was ihn freut, wie er sich selbst als eigenständiges Wesen zum Ausdruck bringt, wie er kommuniziert, lernt und denkt, seine Gefühlsreaktionen, seine Ziele und wie er versucht, sie zu erreichen, die Betätigungsfelder und Interessen, zu denen es ihn hinzieht – all diese Dinge sind Teil der Persönlichkeit dieses Menschen und machen ihn zu einem einzigartigen Individuum.
Geburtshoroskope verdeutlichen genau das: Menschen sind einzigartige Individuen und werden mit bestimmten Grundanlagen geboren. (Sogar diejenigen, die sich selbst nicht so empfinden, sind einzigartige Individuen.) Die Sprache der Astrologie sind dabei Planetenprinzipien und Tierkreiszeichen, Urprinzipien, die eine Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten haben.
Astrologie ist also ein System, das der Individualität, auch dem Ungewöhnlichen Raum gibt. Der Mensch betritt die Existenz mit einem individuellen Potenzial, mit ganz bestimmten Grundthemen, die die Persönlichkeit von Anfang an formen und die er sich nicht ausgesucht hat. Bestimmte Ausdrucksformen, Verhaltens- und Erlebensweisen als normal zu betrachten und andere als weniger oder nicht mehr normal, das heißt, Normen im Bereich der Persönlichkeiten zu definieren, macht im astrologischen Menschenbild eigentlich keinen Sinn. Schaut man in ein Geburtshoroskop, sieht man dort Schwarz auf Weiß die Grundanlagen eines Menschen, innerhalb derer er sich entwickelt, den Rahmen, in dem er sich entfalten kann (auch Hinweise auf grundlegende Erfahrungen mit den Eltern und im Heranwachsen gibt es im Horoskop). Geburtskonstellationen sind unabhängig davon, in welche Gesellschaftsform jemand hineingeboren wird, was das Umfeld des Betreffenden wertschätzen wird oder ob der Arbeitsmarkt sich für bestimmte Fähigkeiten gerade interessiert oder nicht. Für manche ist es einfacher, sich in ihrer jeweiligen Welt zurechtzufinden, für andere viel schwieriger.
Aus astrologischer Sicht geht es darum, die mitbekommenen Anlagen in möglichst positive Bahnen zu lenken. Das heißt, das astrologische System erkennt die Grundpersönlichkeit des einzelnen Menschen als gegeben an und wertet diese Grundpersönlichkeit damit nicht ab. Astrologie gibt darüber hinaus Anregungen, wie die eigenen Anlagen konstruktiv gelebt werden können. Der jeweilige Ausdruck der Grundanlagen kann ungünstig oder problematisch sein, und manche Menschen brauchen Unterstützung von außen, um bessere Wege zu finden, sich selbst zu leben. Natürliche Entwicklung kann auch nur durch Zeit und Lebenserfahrungen stattfinden. Wesentlich sind aber bewusste Anstrengung und Aktivität, wenn man Potenzialen zur Entfaltung verhelfen will.
Bei allem Streben nach Entwicklung und Konstruktivität sollte man – wie ich finde – auch nicht vergessen, dass wir alle nur Menschen mit menschlichen Gefühlen sind. Konstruktiv zu leben heißt für mich nicht, dass man alle seine Emotionen ablegen soll, geschweige denn, dass man es könnte. In hoch emotionalen Situationen kann unter Umständen nur reagiert werden, aber nicht vernunftgemäß gehandelt. Emotionen jeder Art sind Teil des Lebens, ebenso wie Konflikte mit uns selbst oder anderen, die Entwicklung auch vorantreiben können.

Von der Astrologie kann man sich angenommen fühlen, wie man ist. Der Blick ins Geburtshoroskop reicht, um sich sagen zu können: „Ich bin grundsätzlich in Ordnung. Ich bin in meinem Potenzial und in meinen Aufgaben genauso gemeint. Es liegt in meiner Natur, so zu sein.“ Und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten entwickelt man sich weiter, indem man die Verantwortung für sein Leben übernimmt und dort aktiv ist, wo es der eigenen Natur entspricht. In den unterschiedlichen Erfahrungen, die man macht, durchlebt man Entwicklungsprozesse und ist dabei immer im Werden begriffen. Beschreibungen der gereiften Ebenen von Zeichen und Planetenprinzipien, der bestmöglichen Entfaltung von Konstellationen können dabei eine Vorstellung davon geben, wo man sich hinentwickeln könnte.
Der astrologische Blick auf den Menschen respektiert die angeborene Individualität. Immer wird vom individuellen Geburtshoroskop ausgegangen, nicht vom Durchschnitt, an dem das Individuum sonst üblicherweise gemessen wird, wenn beispielsweise versucht wird, in Persönlichkeitsprofilen die Ausprägung bestimmter Eigenschaften zu erfassen. Der Vergleich mit der Allgemeinheit ist irrelevant, wenn es um die Frage geht, wie authentisch ein Mensch lebt. Ob jemand sich selbst zum Ausdruck bringt, lässt sich nicht an der Allgemeinheit messen, weil das Individuum nur selbst ein Gefühl für sein wahres Selbst haben kann. Zusätzlich liefert das Geburtshoroskop dafür wesentliche Anhaltspunkte.

Eine Orientierung an der Normalität (als normal gilt dabei das, was dem Durchschnitt der Gesellschaft entspricht), grenzt diejenigen aus, die in irgendeiner Weise von diesen Vorstellungen von Normalität abweichen. Das kann schon im Schulalter zu Versuchen führen, sich zu verbiegen, um dazuzugehören. Der Gesellschaft sind sich einfügende Menschen eben größtenteils lieber. Es wäre ja unpraktisch, wenn Leute, die möglichst weit mit sich im Einklang leben wollen, damit anfangen würden, allgemein akzeptierte Abläufe in Frage zu stellen. Herausragenden Künstlern, Persönlichkeiten, die kulturelle Hochleistungen vollbringen, wird Unkonventionalität vielleicht noch zugestanden, aber von allen anderen wird Anpassung an die Gemeinschaft erwartet.
Solange nicht Vielfalt und Individualität maßgebliche Werte einer Gesellschaft sind, wird es immer Abwertung und Ausgrenzung geben.
Die Individualität zu respektieren bedeutet dabei nicht, dass man alles tolerieren muss, was von anderen kommt. Es geht hier nicht um das Thema, dass Menschen sich auch wirklich destruktiv verhalten können, wofür es viele Gründe geben kann. Genauso müsste eigentlich gar nicht erwähnt werden, dass man sich mit manchen Menschen besser versteht als mit anderen. Mit den einen hat man mehr und mit anderen weniger „gemeinsame Wellenlänge“ – wobei das nicht automatisch an Mögen oder Nicht-Mögen gekoppelt ist. Man kann ja auch Menschen mögen, die einem unähnlich sind.
Die Individualität zu respektieren bedeutet für mich, sich bewusst zu sein, dass der oder die andere wirklich ein anderer oder eine andere ist. Es steht im Gegensatz dazu, etwa von sich selbst auf andere zu schließen oder geschlechterbezogene Gleichmacherei zu betreiben: „Alle Frauen bzw. Männer möchten dieses und jenes.“
Manche fühlen sich vermutlich auch wohl dabei, sich einer Mehrheit anzuschließen, statt eine individuelle Position einzunehmen. Ein Individuum zu sein oder zu werden, kann die größere Aufgabe sein, denn wenn man den Lebensweg gehen will, den sonst niemand gehen kann, muss man die Herde wohl oder übel auch verlassen. Ein Leben kann unerfüllt bleiben, wenn man sich niemals dazu entschließt, dem eigenen Inneren zu folgen.

Die Beschäftigung mit Geburtshoroskopen kann den Blick auf den Menschen verändern. Wir alle unterscheiden uns voneinander, je genauer man hinsieht und je mehr man in die Tiefe geht, umso mehr, und genau das könnte im individuellen Muster der Geburtskonstellationen nicht besser dargestellt sein. Gemeinsam ist uns, dass wir alle eine Sonne, einen Mond, einen Saturn oder einen Pluto im Horoskop haben. Es sind dieselben Urprinzipien, die in jedem einzelnen Leben wirken. Wie diese Urprinzipien aber miteinander verbunden sind, durch welche Zeichen sie gefärbt sind und in welchen Lebensbereichen sie wirken, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wie wir Situationen erleben und damit umgehen, unser persönliches Empfinden, unsere Anschauungen vom Leben und vom Menschen, all das ist geprägt durch jeweils eigene, unterschiedliche Grundbedingungen. Wir fühlen, denken und handeln auf unsere jeweils eigene Art und Weise, und gleichzeitig sind wir darin Entwicklungsprozessen unterworfen.
Befasst man sich gründlich mit den verschiedenen Konstellationen, erkennt man, wie komplex und vielschichtig jeder Einzelne ist. Abstufungen im Ausmaß der Komplexität kann es geben – der eine hat vielleicht mehr schwierige Aspektfiguren als der andere und damit ein größeres Paket an Aufgaben und Herausforderungen mitbekommen. Wie bewusst sich die Person über sich selbst ist, lässt sich im Horoskop nicht erkennen, und vielleicht wird nur ein Bruchteil des vorhandenen Potenzials tatsächlich ausgelebt. Durch die Erkenntnis dieses Facettenreichtums der individuellen Anlagen fördert die Beschäftigung mit Horoskopen jedenfalls auch eine gewisse Zurückhaltung im Urteilen über andere. Wenn man andere nach ein paar Eindrücken schon in eine Schublade steckt, wird man niemandem gerecht werden, und man wird so auch niemanden wirklich kennenlernen.
Teile eines Geburtshoroskops können ein ganz anderes Bild zeigen als andere Horoskopfaktoren. Vielleicht gibt es eine Sonne-Venus-Saturn-Konstellation in Erdzeichen und gleichzeitig Mond und Jupiter in Feuerzeichen, und der Horoskopeigner drückt meistens seine ernsthafte, vernünftige, bodenständige Natur aus, während er seine abenteuerlustigen, temperamentvollen Anteile nur in bestimmten Situationen zeigen kann. Ebenso kann das Verhalten in neuen Situationen oder gegenüber Unbekannten stark vom Verhalten in engen, vertrauten Beziehungen abweichen (in jüngeren Jahren wird dieses Auseinanderklaffen möglicherweise noch stärker sein). Um es vereinfachend und plakativ zu veranschaulichen: Nach außen hin ernst und darunter humorvoll, zuerst einmal vorsichtig und darunter lebhaft, rational und darunter gefühlvoll kann es genauso geben wie nach außen hin gesellig und darunter introvertiert.
Wenn man sich selbst als ein Individuum erkennen kann, das sich von anderen unterscheidet, wird man vermutlich auch die Individualität anderer anerkennen können. Würde jeder Mensch seine Einzigartigkeit erkennen, annehmen und entfalten, gäbe es kein „ungewöhnlich“ mehr, weil niemand mehr „gewöhnlich“ wäre. So wie wir alle individuell aussehen, sind auch unsere Persönlichkeiten verschieden, unsere Wesen, unsere Seelen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte ausrechnen und Ergebnis eintragen. * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.