Gegensätze: das Zwillinge-Zeichen

Um die Bedeutungen der Planetenprinzipien zu erforschen, betrachtet man am besten die mythologischen Götter. Bei den Tierkreiszeichen achtet man zum einen auf den Herrscherplaneten, zum anderen lässt sich vieles aus Heldengeschichten und aus den Mythen, die sich um die dem Zeichen entsprechenden Bilder ranken, ableiten.
Mythologische Zwillingspaare findet man in den Erzählungen verschiedener Kulturen, wie etwa die griechischen Zwillinge Kastor und Polydeuces, Söhne des Gottes Zeus und der Leda, der Gemahlin des Königs von Sparta. So ist der eine, Kastor, sterblich, der andere, Polydeuces, unsterblich. Als Kastor im Kampf mit einem anderen Zwillingspaar erschlagen wird, bittet Polydeuces Zeus um Hilfe, der ihnen daraufhin erlaubt, immer einen Tag miteinander in der Unterwelt und den nächsten Tag bei den Göttern im Olymp zu verbringen. So sind beide mit gegensätzlichen Bereichen verbunden: mit dem Göttlichen und Menschlichen, dem Hellen und Dunklen, mit Licht und Schatten.

Zu den wesentlichen Bedeutungen des Zeichens Zwillinge – neben Grundthemen wie Kommunikation, Sprache oder Kontakt – gehört wie im Mythos das Thema der Gegensätzlichkeit. Möglicherweise wird eine innere Gegensätzlichkeit nicht oder nicht von Anfang an empfunden, was darin begründet sein kann, dass ein Pol eines Gegensatzes auf andere projiziert, also an anderen wahrgenommen und dort vielleicht auch missbilligt oder bekämpft wird. Auch im wirklichen Leben kann es in zwischenmenschlichen Konstellationen den hellen und den dunklen Zwilling geben. In der Literatur ist es die Begegnung des Helden mit seinem Widersacher.
Als gegensätzlich kann vieles erlebt werden: das Geistige und das Emotionale, das Rationale und das Irrationale, das Spirituelle und das Körperliche. Natürlich muss immer bedacht werden, dass selbst eine Zwillingssonne mit Zwillingsmond und -aszendent in ein Geburtshoroskop mit vielen anderen Konstellationen eingebettet ist, woraus sich wiederum eigene, andere Gegensätze ergeben können. Aber das Thema des Gegensätzlichen kann sich äußern als ein Hin- und Hergerissensein zwischen Handlungsmöglichkeiten, als Spannung zwischen einem „Einerseits“ und einem „Andererseits“, als ein generelles Erleben von Ambivalenzen in verschiedenen Situationen.

Die Zwillinge sind ein Luftzeichen, sie gehören zur Welt der Gedanken, des Geistigen und des Verstandes. Auch im Bereich von Logik und Vernunft kann sich der Gegenpol bemerkbar machen. Wenn der zwillingsbetonte Mensch versucht, ausschließlich rational zu sein, wird er vermutlich irgendwann mit dem Irrationalen konfrontiert, mit unerklärbaren Phänomenen oder der Irrationalität des Gefühlslebens. Wird die Seite von Vernunft und logischer Erklärbarkeit überbetont, kommt dem Betreffenden der andere Pol vielleicht in Form von „unsinnigen“, weil nicht rational erklärbaren Systemen entgegen, die ihm ein Dorn im Auge sind und die er anfängt zu bekämpfen.

Auch wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, kann der Zwillingsmensch merken, dass der Verstand allein oft nicht ausreicht, vor allem bei Entscheidungen, die man nicht auf Fakten stützen kann. Wenn das Ergebnis nicht vorhersehbar ist, braucht es Mittel, die wiederum von der „anderen Seite“ stammen: die Intuition, das Bauchgefühl, die Stimme des Herzens. Und vielleicht muss all das erst ausgebildet werden.
In der Trivialastrologie wird der Zwilling manchmal als „oberflächlich“ charakterisiert. Das bezieht sich aber allenfalls auf die Vielfältigkeit der Interessen, nicht auf den seelischen Tiefgang. Wenn zu viele Interessen gleichzeitig verfolgt werden, kann nichts mehr vertieft werden. Mythologische Zwillingspaare, die das Helle wie das Dunkle verkörpern, die in der Unterwelt wie in luftigen Höhen zuhause sind, ebenso wie der Gott Merkur, Herrscher im Zwillinge-Zeichen, der die Seelen der Toten in die Unterwelt begleitet, zeigen symbolisch den Zugang des Zeichens zu den seelischen Tiefen, zum Hervorholen verborgener, unbewusster Dinge. Wie bereitwillig der Zwillingsmensch sich mit der anderen Seite, mit diesen Tiefen auseinandersetzt, kann von Lebenserfahrungen und -situationen abhängen, aber auch von anderen Horoskopfaktoren. Jemand mit Sonne und Merkur im Zwilling, drei weiteren Planeten im Skorpion und Pluto am Aszendenten fühlt sich vermutlich mehr von psychologischer Tiefenforschung angezogen als jemand mit derselben Zwillingsbetonung, vielen anderen Luftzeichen und einer Uranus-Jupiter-Konjunktion am Aszendenten.

Wir haben von den Zwillingen Kastor und Polydeuces gehört, die abwechselnd in der Unterwelt und im Olymp leben. Ein ähnliches Motiv finden wir im Mythos von Kore, die von Hades, dem Gott der Unterwelt, der sie heiraten möchte, geraubt wird. Demeter, ihre Mutter, sucht nach der Tochter und droht, die Erde würde für immer unfruchtbar bleiben, sollte Kore nicht zu ihr zurückkommen. Schließlich wird man sich einig, dass Persephone, wie Kore als Herrscherin der Unterwelt genannt wird, drei Monate im Jahr bei ihrem Gemahl verbringen soll, die übrigen neun Monate bei ihrer Mutter auf der Erde. Der Mythos der Persephone wird astrologisch mit dem Jungfrau-Zeichen in Verbindung gebracht, dem zweiten von Merkur regierten Zeichen – und auch hier zeigt der Mythos das Motiv des zyklischen Hinuntersteigens in verborgene Bereiche.

Begriffe zum Zwillinge-Prinzip:
Zweiheit, Licht- und Schattenseite, Interesse = „dazwischen sein“, Neutralität, Objektivität, Verstand, Intellekt, Gedanken, funktionales Wissen, Weisheit, Sprache, Kommunikation, Austausch, Mitteilung, Vermittlung, Kontakt, Kameradschaft, Leichtigkeit, Beweglichkeit, Vielseitigkeit, Geschicklichkeit, Neugier, Anpassungsfähigkeit, Zwiespältigkeit, Zweifel, Zaudern.

Anmerkung:
Ich beschreibe hier ein Urprinzip in seiner Reinform, die charakteristischen Themen eines Zeichens, wie sie für Deutungen herangezogen werden. Für eine individuelle Deutung muss aber natürlich das gesamte Geburtshoroskop betrachtet werden.

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